Chef*innen vertrauen?

Zeichnung: eine Ente mit Brille und geschminkten Augen und Ohrringen hält ein Schild mit der Aufschrift "Agile Chick" vor der Brust

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist… Chef*innensache. Nun, wenn Chef*innen die Kontrolle übernehmen, dann sollten die Mitarbeitenden die Kontrolle über das Vertrauen haben, das sie ihren Führungskräften geben. Denn Vertrauen schenken ist in unserer kapitalistischen Welt eine leichtfertige Idee.

Triggerwarnung: Liebe Führungskräfte, der folgende Text kann Reste von Stereotypen und entlarvenden Verhaltensweisen enthalten. Wenn Euch derartige Überlegungen verletzen oder zur schmerzhaften Reflexion der eigenen Verhaltensweisen bringen sollten, möchte ich von der Lektüre abraten.

Liebe Mitarbeitenden, dieser Text ist kein psychologisch fundierter Text, sondern eine vereinfachte Sichtweise eine*r erfahrenen Agile Chick. Es ist wichtig, dass Ihr jederzeit die Verantwortung für Euer Handeln übernehmt und entscheidet, wie Ihr mit Erkenntnissen aus diesem Post umgeht.

Ich erlebe in meinen Sprechstunden immer wieder Angestellte, die – ich zitiere – „nach einem offenen Gespräch von ihren Vorgesetzten massiv unter Druck gesetzt oder gemobbt wurden.“ Es ist durchaus gängige Praxis, dass Führungskräfte darin geschult werden, Informationen aus ihren Mitarbeitenden zu ergattern, die sie vermutlich gar nicht teilen wollten.

Ich teile nicht das neoliberale Narrativ der „Eigenverantwortlichkeit“, das den Opfern derartiger Manipulationen zusätzlich auch noch die Schuld in die Schuhe schiebt. Ich glaube, es ist besser, wenn Angestellte ihren Vorgesetzten mit einem gesunden Misstrauen begegnen, solange sie keine Signale erhalten, die ihnen Vertrauen in die Führungskraft geben.

Dieser Blogpost ist daher eine einfache Anleitung für Mitarbeitende, sich klar zu machen, wie offen sie in Gesprächen wirklich sein sollten. Ich liste Faktoren auf, die ihnen helfen sollen, ihre Vorgesetzten einzuordnen und dei ihnen Optionen zeigen, ob und wie sie Informationen teilen.

Deine Einschätzung zählt

Es ist wichtig, dass Du Dir einen Eindruck verschaffst, wie sich die Zusammenarbeit mit Deinen Vorgesetzten gestaltet. Die folgenden Szenarien sollen Dir dabei helfen, eine erste Einschätzung zu bekommen. Dazu möchte ich Dich bitten, zu überprüfen, welche Antwort am besten zu Deiner Wahrnehmung passt. Bitte notiere diese Punkte:

Vorgesetze*r zeigt Interesse an Deinen Themennie
0
manchmal
2
immer
4
Vorgesetzte*r nimmt sich Zeit für Dein Anliegennie
0
manchmal
2
immer
4
Vorgesetzte*r nimmt sich Zeit, zu erklären, was sie*er brauchtnie
0
manchmal
2
immer
4
Vorgesetzte*r stellt Rückfragennie 0manchmal 2immer
4
Vorgesetzte*r fragt Dich, was Du brauchstnie
0
manchmal
2
immer
4
Vorgesetzte*r gibt Dir Anweisungen, was Du als nächstes tun sollstnie
4
manchmal
2
immer
0
Vorgesetzte*r erklärt Dir den Grund für die Anweisungen, Veränderungen, Entscheidungennie
0
manchmal
2
immer
4
Versprechen nicht eingelöst: Vorgesetzte*r unterstützt Dich beim Finden von Alternativennie
0
manchmal
2
immer
4
Vorgesetzte*r kennt Deine persönlichen Zielenein
0
ja
2
Vorgesetzte*r unterstützt Dich bei Deinen persönlichen Zielennein
0
ja
2

Auswertung

Bitte zähle nun die Punkte zusammen. Die Gesamtzahl gibt Dir eine grobe Einordnung, wie Dein*e Vorgesetzte*r tickt:

PunkteTyp + Erklärung
0 – 12 Punkte
Imperator*in
Vorteile dieser Führungskräfte sind die klare Linie, direkte Anweisungen und schnelle Entscheidungen. Wenn Du mit Deiner Führungskraft im Gleichklang bist, wirkt das fast wie eine gute Freundschaft.
Probleme gibt es, wenn ihr unterschiedliche Ansichten vertretet.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Deine Führungskraft ihre Entscheidungen ausschließlich an ihrer eigenen Weltsicht festmacht. Deine eigenen Impulse könnte sie daher als Störung wahrnehmen, Widerspruch werten Imperator*innen im Extremfall als Verweigerungshaltung.
Zeichen der Empathie („Wie geht es Dir?“, „Ich wollte fragen, ob alles okay ist?“) nutzen Imperator*innen tendenziell als Mittel zum Zweck, um Informationen zu erhalten. Die Fragen wirken oft aufgesetzt und nicht authentisch. Angesprochene Probleme werden entweder ignoriert oder sehr schleppend bearbeitet.
13 – 24 Punkte
Pragmatiker*in
Pragmatiker*innen wissen, dass nicht alles so läuft, wie sie es sich vorstellen. Sie wissen aber, was sie tun müssen, damit es läuft. Je nach deren persönlicher Haltung werden sie mehr oder weniger die Meinung der Menschen einbinden, die für sie arbeiten.
Führungskräfte dieses Typs bieten echte Unterstützung an. Sie stellen daher persönliche Fragen, weil sie ernsthaft interessiert sind und reagieren erheblich authentischer als Imperator*innen. Sie gehen auf die Wünsche ihrer Mitarbeitenden ein – wenn ihnen das einen Nutzen verschafft.
Sie lassen Feedback und Gegenrede zu und lassen Impulse in ihre Einschätzung einfließen. Sie haben dennoch oft das letzte Wort und legen den Fokus darauf, sich durchzusetzen.
In Stresssituationen neigen Pragmatiker*innen zu schnellen Entscheidungen, die sie nicht in Frage gestellt sehen wollen. In diesen Situationen neigen sie zu Unverständnis, wenn sie mit persönlichen Probleme konfrontiert werden.
25 – 36 Punkte
Supporter*in
Deine Führungskraft zeigt echtes Interesse an Deiner Arbeit und unterstützt Dich auf einem sehr professionellen Niveau.
Sie zeigen Verhaltensweisen, die der lateralen Führung zugeschrieben werden: sie unterstützen Dich dabei, Deine Sichtweise und Argumentation zu schärfen und eine möglichst große Palette an Optionen zu bieten. Sie werden Dir weitere Handlungsmöglichkeiten geben und Dir bei zu großer Unsicherheit auch sagen, welche Lösung ihnen sinnhaft erscheint. In den meisten Fällen werden sie die Entscheidung dir überlassen. Ausnahmen werden klar abgegrenzt und begründet.
Die Führungskraft bemerkt nicht nur, wenn es Konflikte gibt, sie unterstützt Dich dabei, diese zu lösen.
Auch Supporter*innen werden Entscheidungen treffen, von denen nicht alle angenehm für Dich sind. In der Regel werden sie diese aber gut und sinnvoll begründen können.

Du hast jetzt einen ersten Eindruck, mit welchem Typ von Vorgesetzte*n Du es zu tun hast. Bitte überprüfe, ob die Einschätzung für Dich passt. Widersprüche sind völlig in Ordnung, sie könnten ein Hinweis darauf sein, dass Du Deine initiale Einschätzung auf Stimmigkeit überprüfen solltest: war Dein Urteil an bestimmten Stellen zu hart? Oder zu sanft?

Was heisst das für Dich?

Umgang mit Imperator*innen

Einzelgespräche (oder Face-to-Face, One-o-Ones,…) gehören zum Pflichtrepertoire jeder Führungskraft. Das allein ist kein Zeichen, dass sich Deine Führungskraft für Dich interessiert. Imperator*innen nutzen diese Termine, um zu prüfen, ob ihre Mitarbeitenden die ihnen zugewiesenen Aufgaben erledigen. Kontrolle ist das oberste Ziel. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn diese Einzeltermine ausfallen. Zumindest ist es ein Hinweis darauf, dass Du Deine Aufgaben erwartungsgemäß erfüllst.

Für alle Meetings mit Deiner Führungskraft gilt: achte bitte auf Dich. Überlege Dir sehr genau, was Du Deiner Führungskraft gegenüber teilen möchtest. Das Risiko ist hoch, dass Infos über Dich gegen Dich verwendet werden. Im Zweifelsfall solltest Du Dich deshalb bedeckt halten.

Verschließe Dich bitte nicht dem Feedback, das Du bekommst. Es wird Dir helfen, angespannte Situationen besser einzuschätzen und diese zukünftig zu vermeiden. Vermeide Konflikte mit Imperator*innen, denn leider neigt dieser Typus nicht dazu, von sich aus zu entschärfen.

Wenn eine Situation zwischen Dir und Deiner Führungskraft eskaliert, versuche Dich so gut es geht aus der Situation heraus zu ziehen. Du hast am Arbeitsplatz nicht die Pflicht, die Wahrheit zu sagen, vor allem dann nicht, wenn sie zu Deinem Schaden genutzt wird.

Sollte die Situation weiterhin angespannt bleiben, wirst Du Wege für Dich finden müssen, wie Du damit umgehen willst. Da Deine Führungskraft prinzipiell am längeren Hebel sitzt, solltest Du in Erwägung ziehen, den Arbeitsplatz zu wechseln.

Umgang mit Pragmatiker*innen

Einzelgespräche finden je nach Ausprägung unregelmäßig bis häufig statt. Im Gespräch sind die Redeanteile meist gleich verteilt.

Achte auf Dein Bauchgefühl. Es lohnt sich, immer wieder eigene Impulse einzubringen, um zu testen, wie Deine Führungskraft damit umgeht. Du wirst in vielen Fällen gute Lösungen finden, wie Du mit und für Deine Führungskraft arbeitest. Achte dennoch auf eine gewisse Distanz, damit Du in Stresssituationen keinen Schaden nimmst.

Bei einer angespannten Situation lohnt es sich, in ein Gespräch zu gehen. Bereite Dich gut auf dieses Gespräch vor: es ist gut, konstruktive Lösungen in der Hand zu haben. Je mehr diese Lösungen auch Deiner Führungskraft einen Nutzen bringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Du diese Lösung bekommst.

Sei außerdem offen für das, was die Führungskraft Dir anbietet. Nimm Dir aber Zeit, zu prüfen, ob das Angebot Details enthält, die zu Deinen Ungunsten sind. Die Chancen sind gut, dass Du hier noch Feinheiten verändern kannst.

Sollte die Situation dauerhaft angespannt bleiben, solltest Du ähnlich wie bei Imperator*innen einen Arbeitsplatzwechsel in Betracht ziehen. Es lohnt sich hier, genauer auf Deine eigenen Stressmechanismen zu schauen, damit Du entsprechende Faktoren in Deine Jobsuche einfließen lassen kannst.

Umgang mit Supporter*innen

Supporter*innen werden von sich aus regelmäßige Termine mit Dir suchen, um Dich bei Deiner Arbeit und persönlichen Themen zu unterstützen. Die Gespräche werden sich hauptsächlich um Dich drehen. Natürlich werden Führungskrafte Dir auch ihre eigenen Erwartungen spiegeln.

Es dürfte sich lohnen, auf diese Angebote einzugehen. Du wirst viel Feedback erhalten, wäge diese kritisch für Dich ab und nutze die Gelegenheiten, Rückfragen zu stellen. Supporter*innen werden gerne auf diese Fragen eingehen. Wenn sich Dein Eindruck bestätigt, werden sich Deine Führungskräfte als echte Unterstützung herausstellen.

Spannungen sind eher außergewöhnlich. Sie treten vor allem dann auf, wenn Führungskräfte entgegen ihrem eigenen Wertesystem Entscheidungen durchsetzen müssen. Es kann selbstverständlich passieren, dass Entscheidungen ungünstig für Dich sind. In diesen Situationen solltest Du Deinen eigenen Schutz voranstellen. Versuche dennoch, offen für Feedback Deiner Supporter*in zu sein. Ich würde mich nicht wundern, wenn diese Führungskräfte versuchen werden, Dir gute Alternativen zu zeigen.

Zusammenfassung

„Jetzt vertrau mir doch mal!“ – Nein. Vertrauen will verdient werden. Leider gibt es einige Führungskräfte, die sich als Imperator*in ihres Bereiches aufstellen. „La Reine, c’est moi!“ – das ist nicht vertrauenserweckend. Beim Umgang mit solchen Führungskräften ist Vorsicht geboten.

Die gute Nachricht ist, dass es viele Menschen in Führungspositionen gibt, die ihr Umfeld nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mitarbeitende gut gestalten. Die Chancen sind groß, dass Du an Pragmatiker*innen und Suppporter*innen gerätst.