Das Impostor-Syndrom – auf Deutsch Hochstaplersyndrom – löst bei vielen Menschen Argwohn aus. Was soll das sein?

Der Begriff wurde erstmalig von den Psychologinnen Dr. Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes erwähnt (Clance P.R., Imes S.A., 1978). In ihrem Artikel aus dem Jahr 1978 beschreiben sie unter dem Begriff „Impostor Phänomen“ die „internalisierte Erfahrung intellektueller Falschheit“, die sie besonders stark bei sehr erfolgsorientierten weiblich gelesenen Personen beobachten konnten.

Selbstverständlich können auch andere Personen an diesem Phänomen leiden, das u.a. durch anhaltende Selbstzweifel und der Angst bekannt wurde, als Hochstapler*in (Englisch: impostor) entlarvt zu werden. Das Impostor-Syndrom wird nicht als Krankheit gesehen, kann aber einen gehörigen Einfluss auf das Leben betroffener Personen haben.

Im Kontext agiler Arbeitsweisen ist das Phänomen ebenfalls bekannt. Der immense Leistungsdruck sorgt bei vielen Menschen für eine hohe Unsicherheit. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Impostor-Syndrom im Rahmen von IT-Konferenzen wie der SoCraTes immer wieder als Thema auftaucht.

Im Rahmen der SoCraTes 2023 in Soltau habe ich eine Session organisiert, in der Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen, aber auch ihren Umgang mit dem Syndrom reflektieren konnten. Das Ergebnis ist in der folgenden Übersicht zusammengefasst. Über einige Details berichte ich im weiteren Verlauf des Artikels.

Frag im Zweifel Deine*n Ärzt*in!

Beginnen möchte ich mit einem Hinweis: Obwohl das Impostor-Syndrom nicht als Krankheit gilt, kann es sehr wohl einen großen Einfluss auf die individuelle Lebenserfahrung haben. Gerade bei negativen Erfahrungen macht es Sinn, sich (therapeutische) Unterstützung zu holen. Eine fachgerechte Unterstützung sorgt für eine erheblich bessere Lebensqualität. Dieser Artikel stellt eine Laienmeinung dar und ist keinesfalls als Beratungsleistung geeignet.

Symptome

In unserer Runde berichteten Teilnehmende von Symptomen wie Angst, Disstress (ein sich negativ auswirkendes Stressgefühl) und immer wiederkehrenden Fragen und Botschaften, z.B.

  • Wieso gehöre ich hier dazu?
  • Was suche ich hier?
  • Ich schäme mich! Was wohl die anderen von mir denken?
  • Ich betrüge meine Kolleg*innen!
  • Wir reden nicht darüber!

Es können selbstverständlich noch andere Symptome auftreten. Sie alle drücken tiefe Selbstzweifel und schmerzhafte (Schuld-)Gefühle aus.

Erlebte Beispiele

In der Runde gab es sowohl Berufseinsteiger*innen als auch erfahrene Expert*innen. Beim Berufseinstieg sorgen u.a. hohe Anforderungen gleich zu Beginn sowie ein Fachvokabular, das als selbstverständlich angesehen wird, für Verunsicherung. Das Umfeld unterstützt dieses Verhalten und fördert so Selbstzweifel am eigenen Wissen.

Bei Expert*innen kann der Effekt eintreten, wenn sie sich in neue Wissensdomänen einarbeiten müssen. Was aber für das eine Fachgebiet gilt, gilt nicht notwendigerweise auch für das nächste. In dem Moment, in dem Betroffenen ihr eigenes Unwissen bewusst wird, können sie die sonst gewohnten Erwartungen nicht mehr erfüllen. Die Unsicherheit und sicherlich auch die Angst vor Prestigeverlust können ein Auslöser für das Impostor-Syndrom sein.

Wie gehe ich mit den (Schuld-)Gefühlen um?

Die Frage über den Umgang mit den negativen Gefühlen war ein zentraler Teil der Diskussionsrunde. Hier gibt es nicht die eine Lösung. Es kommt stark auf das Umfeld und die eigene Konstitution an. Die Teilnehmenden berichteten von den folgenden Impulsen, in Situationen mit großem Stress oder Schmerz eine gute Lösung zu finden:

  • Sprich über Deine Ängste. Suche Dir dafür ein gutes Umfeld.
  • Denk daran, Du bist weder ChatGPT noch Gott. Niemand weiß alles!
  • Negative Gedanken entstehen in Deinem Kopf. Was hilft Dir, mit ihnen umzugehen?
  • Das Impostor-Syndrom ist ein völlig normales Gefühl, das viele Menschen erleben. Du bist nicht allein damit.
  • Sammle Deine Erfolgsstories, damit Du Dich in Zeiten der Verunsicherung daran erinnerst, was Du schon alles erreicht hast.

Welche Optionen habe ich?

Mit dieser Frage ist gemeint, wie Teilnehmende mit Situationen umgegangen sind, in denen sie Selbstzweifel oder Nicht-Wissen erfahren haben.

Die wohl schwierigste, aber auch befreiendste Option ist, zu sagen: „Ich weiß es nicht“. Das damit verbundene Risiko, sich selbst verletzbar zu zeigen, ist sicherlich nicht leicht. Es besteht aber auch die durchaus realistische Chance, Anerkennung und Zugewandtheit zu erfahren. Denn: auch andere haben das Wissen nicht oder fühlen sich ebenfalls verunsichert.

Sehr viel einfacher ist die zweite Option: fühle Dich dazu eingeladen, nicht sofort antworten zu müssen. Dies gibt Dir die Möglichkeit, Deine eigenen Emotionen zu reflektieren und/oder eine passende Antwort für Deine Situation zu finden. Sätze wie „Darüber muss ich erst ein wenig nachdenken.“ oder „Können wir das später diskutieren?“ helfen Dir, die Situation zu entschärfen und Dir ein Umfeld zu schaffen, das Dir hilft, gut mit der Herausforderung umzugehen.

Wie finde ich heraus, dass ich wirklich ein Impostor-Syndrom habe?

Eine teilnehmende Person stellte sich und uns diese Frage. Sie hatte die Sorge, ihr „tatsächliches Unwissen“ mit der Ausage „Das ist nur ein Impostor-Syndrom“ abzuschwächen und sich damit einer Illusion hinzugeben.

Tatsächlich kann bereits diese Relativierung ein Zeichen für das Impostor-Syndrom sein. Denn die Frage zielte auf die (unbewusste?) Annahme ab, dass die Situation auf dem Unwissen der Person beruhte. Der Verweis auf Impostor-Syndrom wäre demnach nichts anderes als ein Beruhigungsmechanismus, um die eigen Unwissenheit zu kaschieren.

Dieser Mechanismus ist nicht leicht zu durchbrechen. Um klar zu sein: selbstverständlich wird es Situationen geben, in denen Menschen etwas nicht wissen. Das ist aber völlig normal und in Ordnung. Die Verunsicherung und die Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl von Betroffenen sind in dieser Situation vorhanden und damit echt. Damit ist auch das Impostor-Syndrom echt.

Teilnehmer*innen haben erzählt, dass Ihnen in dieser Situation ein Perspektivenwechsel half: Was wäre, wenn sich eine andere Person in dieser Situation befände? Wie würde ich damit umgehen? Wende ich dieselben Maßstäbe auch bei mir an?

Oftmals hilft es, Vertrauenspersonen oder Unterstützer*innen zu haben, mit denen Du die Situation diskutieren kannst. Wie möchtest Du mit etwaigen Wissenslücken umgehen? Welche Mechanismen helfen Dir bei unangenehmen Gefühlen? Wie willst Du Dein Impostor-Syndrom händeln? Wie können Dein*e Unterstützer*innen Dich dabei begleiten?

Zusammenfassung

Das Impostor-Syndrom ist ein reelles Phänomen, das vielen Menschen nur zu gut bekannt ist. In der oben beschriebenen Session haben Teilnehmende über die Symptome und damit verbundenen Gefühle und Erlebnisse reflektiert. Die gemeinsame Runde zeigte, dass das Impostor-Syndrom keine Seltenheit, sondern – wie im Falle der SoCraTes – ein bekanntes Phänomen der Arbeitswelt von Software-Crafter*innen und -Tester*innen ist.

Die Session zeigte außerdem, dass wir dem Impostor-Syndrom nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern verschiedene Optionen und Mechanismen nutzen können, um die Situation beherrschbar und erträglich zu gestalten. Ein regelmäßiger Austausch mit Vertrauten und Supporter*innen hilft, gut mit dem eigenen Impostor-Syndrom umzugehen.

Eine gute Selbsthilfe ist wichtig. Besser ist es jedoch, ehrlich zu sich selbst zu sein. Wenn die Belastungen aus dem Impostor-Syndrom Dein Leben sehr stark einschränken, nutze die Chance, Dir dafür professionelle Hilfe zu holen. Beispiele für Anlaufstellen liste ich hier im Anschluss auf.

Weiterführende Links

Literatur und Quellen

  1. Clance P.R., Imes S.A. (1978). The Impostor Phenonmenon in High Achieving Women: Dynamics And Therapeutic Intervention. Psychotherapy: Theory, Reasearch and Practice, VOLUME 15, #3 , fall, p. 241-247
  2. Palmer Ch (2021). How to overcome impostor phenomenon. Experts share why impostor feelings arise and how psychologists can overcome them and best help others with the same struggle. American Psychological Association. Vol. 52 No. 4, Print version: p. 44
  3. Socrates 2023 Soltau: https://www.socrates-conference.de/home; gelesen am: 11.11.2023