Wenn schon das Onboarding schmerzt …

Ich habe meinen Job in der Probezeit gekündigt. Leicht war das nicht! Ich habe lange darüber nachgedacht, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort ist einfach: das Onboarding ging gründlich schief.

Nun nutzt es niemandem, wenn ich hier über Firma X oder Y rante. Ich nutze daher diesen Artikel dazu, über das Thema Onboarding zu schreiben und zusammenzufassen, was ich mir gewünscht oder erwartet hätte und was eigentlich in Firmen der aktuelle Standard sein sollte.

Klar zum Antritt …

Mit Onboarding meine ich den Prozess, mit dem neue Kolleg*innen in das Unternehmen und ihre Arbeitsumgebung aufgenommen werden. Gut durchgeführt ist das Onboarding die beste Möglichkeit, neue Kolleg*innen einen erfolgreichen Start im Unternehmen zu verschaffen und eine Basis für ein vertrauensvolles Arbeiten zu fördern. Schlecht durchgeführt … na ja, dazu komme ich später.

Antreten vs. Ankommen

Ich habe in meiner Karriere nur zweimal ein freundliches und entspanntes Onboarding erlebt. In vielen technisch orientierten Firmen ist auch im Jahr 2023 Onboarding eher ein „Nice-to-have“, was im besten Fall bedeutet, dass „den Neuen“ ein Onlinezugang eingerichtet und ihnen ein Platz in einem Team zugewiesen wird. Der Rest wird schon laufen – oder auch nicht.

Gerade in Ingenieurberufen und wissenschaftlichen Bereichen sind Menschen daran gewöhnt, direkt in die Sachthemen einzusteigen und von Tag 1 an ihre Expertise einzubringen. Für Expert*innenteams, in denen eine echte Zusammenarbeit essenziell ist, ist aber eine professionelle Beziehungsarbeit notwendig. Das betrifft vor allem Teams, die in volatilen Märkten arbeiten müssen. Auch wenn es manchem nicht gefallen mag, im Konfliktfall sind Emotionen und die Psyche im Spiel … und ein paar Werkzeuge, um professionell reagieren zu können.

Eine Vermeidungshaltung gegenüber emotional aufgeladenen Themen kann ein Anlass für Konflikte sein: häufig erlebe ich, dass bereits etablierte Kolleg*innen trotz einer neuen Person einfach weiter „ihr Ding“ fahren wollen, während sich die Neueinsteigenden zunächst an neue Prozesse, Rituale und Werkzeuge gewöhnen müssen. Natürlich haben Menschen Fragen, die beantwortet werden wollen. Ignorieren die anderen Teammitglieder dieses Bedürfnis, entstehen ungelöste Spannungen, die im schlimmsten Fall eskalieren. Dieses Phänomen ist u.a. als „Storming“ nach Tuckman bekannt.

Sketchnote: links sitzt eine einsame Person mit einem Schild "Newbies sit here", rechts: das Team spricht zusammen engagiert über ein Thema. Darunter: Onboarding Antipattern 2023

Storming mit dem Boss

Das Storming betrifft nicht nur Teams, sondern auch das Verhältnis zwischen Neueinsteiger*in und Vorgesetzten. Die Haltung von Vorgesetzten spielt hier eine entscheidende Rolle: eine gute Kommunikation sorgt für eine Willkommenskultur, die bei der Einarbeitung hilft. Missverständnisse und Ungeduld dagegen setzen neue Kolleg*innen unter massiven Druck, denn sowohl das Machtgefälle als auch ein fehlendes Support-Netzwerk aus dem Unternehmen lösen schnell Existenzängste aus: die Probezeit bedroht den Arbeitsplatz und damit den Lebensunterhalt. Ist dieser Schaden erst einmal im Raum, wird es aufwändig, das Vertrauen wieder aufzubauen. Die Bitte nach einem Vertrauensvorschuss ist übrigens nicht zielführend, wenn die Bedrohung von Vorgesetzten ausgeht.

Sketchnote: Beziehung zwischen Boss (erhöht) und angestellter Person (tiefer). Boss: "You have to trust me" Person: "Yes, of course" mit traurigem Blick

Ein gutes Onboarding kann hier allen helfen. Gerade dann, wenn es um die Einordnung von Reaktionen und Erlebnissen geht, hilft es, eine Person zur Seite zu haben, die diesen Prozess unterstützen kann. Und weil Stormings nun einmal dazugehören, sollten diese in das Onboarding integriert werden.

Mentor*innen und Mentees

Verantwortlich für das Onboarding ist das Unternehmen, besser noch die unmittelbare Führungskraft. Und weil auch Führungskräfte von Konflikten nicht verschont bleiben, sollte es beim Onboarding eine weitere Rolle geben: die*den Mentor*in.

Diese Rolle sollte von einer Person aus dem nahen Umfeld der neu einsteigenden Person übernommen werden, die keine disziplinarische Aufgabe hat. Sie kennt die Prozesse und Rituale der Firma und des Teams gut und kann die*den Neue*n – in diesem Kontext auch „Mentee“ genannt – beim Start unterstützen.

Tipps für Mentor*innen

Jede Person kann die Rolle einer Mentor*in übernehmen. Sie bietet langjährigen Mitarbeitenden die Möglichkeit, andere Perspektiven zu erfahren und bisherige Verhaltensmuster zu reflektieren. Sie erlaubt, die eigenen Kommunikationsfähigkeiten zu trainieren und Kolleg*innen besser kennenzulernen.

  • Nimm Dir Zeit, gerade in den ersten Tagen wirst Du kaum zu Deinen eigentlichen Aufgaben kommen. Kläre das ggf. mit Deinem Team und Deiner Führungskraft ab.
  • Gibt es Formalien, die erledigt werden müssen? Hast Du vielleicht irgendwo einen „Spickzettel“, der Dir bei Fragen hilft?
  • Es kann passieren, dass es Konflikte zwischen Deinem Mentee und Dir gibt. Das ist nicht ungewöhnlich. Meistens hilft es, darüber zu reden. Bei schwierigeren Konflikten macht es Sinn, weitere Kolleg*innen, Coaches oder Vorgesetzte dazu zu holen, die vermitteln(!) können.
  • Du erlebst Fragen, deren Antworten für Dich selbstverständlich sind? Hab Geduld mit neuen Kolleg*innen. Vielleicht hilft es Dir, die wichtigsten Fragen zusammenzufassen und Deinem und weiteren Mentees zur Verfügung zu stellen.
  • Schaffe eine gute Vertrauensbasis mit Deiner*Deinem Mentee. Bleib bitte achtsam und behandle alle Infos vertraulich.
  • Sollten Vorgesetzte Deiner*Deines Mentees auf Dich zukommen, versuche, deren Problem zu verstehen. Achte aber darauf, dass Du vor allem als Unterstützung für Deinen Mentee da bist. Tipp: hole Dir Unterstützung von anderen Mentor*innen und Coaches, um etwaige Schritte zu planen.

Tipps für Führungskräfte

Jede Führungskraft ist gesetzlich dazu verpflichtet, die „Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden […] wird“(§4, 1 ArbSchG). Das Recruiting von Fachkräften ist oft sehr teuer. Es ist daher sowohl zeitlich als auch finanziell von Vorteil, neue Kolleg*innen bestmöglich einzubinden. Deshalb …

  • Nimm Dir Zeit!
  • Neueinsteigende haben viele Fragen. Hab Geduld und hilf ihnen, sich zurecht zu finden.
  • Die guten Formalien: welche Materialien und Dokumente müssen am ersten Tag bearbeitet werden? Tipp: stelle alles zusammen und mache ein hübsches Welcome Package daraus. Lege außerdem einen Kugelschreiber und Notizblock dazu.
  • Als Führungskraft kannst Du Motivation schnell vernichten, z.B. indem Du Personen einfach isoliert an irgendwelche Aufgaben setzt. Sprich stattdessen mit ihnen über Deine Erwartungshaltung und ermuntere sie, auch mit den Mitgliedern des Teams darüber zu reden.
  • Stelle neuen Mitarbeitenden eigene Mentor*innen zur Seite, die sie fachlich und sozial im Unternehmen begleiten. Egal, ob Neueinsteigende einen „Chief“, „Senior“, „Lead“ oder „Junior“ im Titel stehen haben, ihnen allen hilft eine persönliche Ansprechperson, die ihnen die Rituale in der Firma erklärt.
  • Lass Konflikte im Team zu. Sorge dafür, dass diese so geregelt werden, dass alle Seiten zufrieden sind. Achte darauf, dass das Team zu seinen Lösungen findet. Du solltest das Team dabei unterstützen, nicht steuern.
  • Sollten in den ersten Wochen Konflikte mit der neuen Person auftreten, bedenke bitte immer, welche Machtposition Du innehast. Erwarte nicht, dass Du ehrliche Antworten erhältst. Neue Mitarbeitende können nicht wissen, dass Du eigentlich die empathischste Person des Unternehmens bist. Dieses Vertrauen entsteht erst mit der Zeit durch Dein Verhalten. Tipp: nutze unabhängige Vermittler*innen, um auftretende Konflikte zu lösen.

Tipps für Personen, die neu in eine Organisation kommen

Auch wenn es in diesem Artikel um einen misslungenen Start geht, die weitaus meisten Einstiege laufen sehr angenehm ab. Hier geht es aber um die wenigen Fälle, die problematisch sind. Die oberste Priorität liegt immer beim eigenen Wohlbefinden. Der beste Job der Welt ist es nicht wert, mit Magenschmerzen nach Hause zu gehen und psychische Probleme in Kauf zu nehmen.

  • Nimm Dir die Zeit, anzukommen
  • Gibt es Formalien, die noch erledigt werden müssen?
  • Gönne Dir einen Blick auf das, was du brauchst, um gut in Deinem Team arbeiten zu können.
  • Suche Dir Verbündete in Deinem Team, die sich die Zeit nehmen zu erklären, wie diese bestimmte Herausforderungen gelöst haben. Vielleicht gibt es eine Person, die Dich als Mentor*in durch die ersten Wochen begleitet.
  • Du wirst mit neuen Begriffen und Abkürzungen torpediert? Das ist die implizite Firmensprache. Kein Wunder, dass Du sie noch nicht kennst. Frage nach, was sie bedeuten. Wer weiß, vielleicht haben andere auch das Problem mit den Abkürzungen.
  • Rechne damit, dass es Konflikte geben wird. Das ist normal. Hier ist eine gute Nachricht: gerade am Anfang können diese kaum etwas mit Dir zu tun haben. Deswegen ist es gerade dann sehr gut zu fragen, ob Du versehentlich ein unangenehmes Thema angesprochen hast. Versuche, diese Themen zu klären, damit Du Dich zusammen mit Deinem Team wohl fühlst.
  • Du hast einen Konflikt mit Deiner*Deinem Vorgesetzten? Wenn Du das Gefühl hast, du kannst diesen Konflikt lösen, hole Dir Unterstützung aus dem Team. Wenn Du das Unternehmen verlassen willst, dann bereite Dich so darauf vor, dass es zu Deinen Lebensumständen passt. Du machst auf jeden Fall das Richtige.

Zusammenfassung

Ich hatte eingangs erwähnt, dass ich mein Onboarding leider nicht erfolgreich verlief. Die Ursache lag in meinem Fall nicht in einem Konflikt mit einzelnen Personen, sondern aus einer Vielzahl widersprüchlicher und verunsichernder Signale aus dem Umfeld des Teams und der Firma. Fehlen dann Personen, die bei der Aufarbeitung solcher Erlebnisse helfen können, kann dies bereits eine Dynamik auslösen, die in der inneren Kündigung von Mitarbeitenden endet. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die endgültige Kündigung ausgesprochen wird.

Derartige Prozesse lassen sich schwer von einzelnen Personen durchbrechen. Ich sehe daher im Onboarding einen Indikator für die Führungskultur eines Unternehmen im Allgemeinen. Wenn zum Beispiel aus einem meritokratisch-technisch geprägten Selbstverständnis die psychologische Sicherheit von Individuen nicht wichtig genug eingeschätzt wird, fehlt die Unterstützung für ein wertschätzendes Einbinden neuer Mitarbeitenden. Dies hat Folgen: Warum sollten sich Mitarbeitende als Mentor*innen zur Verfügung stellen, wenn Führungskräfte dem keinen Wert beimessen oder sich sogar über „so einen Blödsinn“ lustig machen?

Organisationen sollten derartige Anzeichen sehr ernst nehmen, gerade dann, wenn sie mit einem hohen Fachkräftemangel und -fluktuation zu kämpfen haben. Es reicht nicht, immer weitere Kandidat*innen ins Unternehmen zu schleusen, sie müssen auch gehalten werden. Und das klappt nur mit einer Firmenkultur, die auf die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeitenden eingeht. Menschen, die sich in ihrem Unternehmen wohlfühlen, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit ein gutes Onboarding unterstützen und neue Mitarbeitende in eine wertschätzende Zusammenarbeit begleiten.

Quellen