Heute ist der Tag des Coming-Out. Gleich vorneweg, ich bin eine Person, die mehrere Coming-Outs hinter sich gebracht hat. Ich sage das, weil ich die Ambivalenz dieses Themas nur zu gut kenne.
Was Coming-Out bedeutet…
Dieser Begriff kommt aus dem englischen Sprachraum und ist eine abgekürzte Form des „Coming out of the closet“, was so viel bedeutet wie „aus dem Schrank kommen“, im übertragenen Sinne „bewusst in die Öffentlichkeit treten“.
Viele Menschen verbinden Coming Out mit der Offenbarung ihrer sexuellen und/oder Genderidentät. Doch Coming-Out gibt es noch in viel mehr Bereichen – eigentlich überall dort, wo eine nicht genauer bestimmte Norm vorgibt, wie Menschen zu sein haben – und diese Norm nicht im Einklang mit dem eigenen Empfinden oder Realität steht.
The Good Things…
Coming-Out kann sehr empowernd sein. Meine persönliche Erfahrung ist, dass ich mich nach meinen Coming-Outs sehr viel stärker und klarer fühlte und wusste, was ich wirklich will und was nicht. Ich habe das „innere“ Coming-Out erlebt, also das Eingeständnis mir selbst gegenüber, dass ich queer/schwul bin. Diese Bewusstmachung war eine Sache von 5 Minuten, der Weg dahin dauerte aber Jahre.
Auch das Outing anderen gegenüber hat einen Aspekt der Klarheit, weil sehr schnell ersichtlich wird, wer Freund*in und wer Feind*in ist. Das klingt sehr primitiv, dichotom, veinfacht, ich habe das aber exakt so erlebt. Fakt ist ja, dass die Entscheidung, sich zu outen, bei mir selbst liegt. Diese Entscheidung ist komplex, denn im Augenblick des Outings kann sich alles verschieben: Vertraute wenden sich ab, es kann Angriffe, Verurteilung, Ablehnung, aber auch Zuspruch, Freude, Erleichterung, … geben.
Ich habe Fälle erlebt, in denen Menschen mir böse waren, weil sie sich durch mein Outing „überrrumpelt“ fühlten und deswegen auf mich sauer waren. Andere distanzierten sich, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt Personen, die sich „neutral“ geben oder sagen: „Spielt das eine Rolle?“ Ja, es spielt eine Rolle für mich. Denn es zeigt mir deren Egozentrismus und wie sie mit einem für mich wichtigen Aspekt umgehen.
Ein Outing bringt Klarheit in Beziehungen im Privaten, im beruflichen Umfeld und in allen anderen sozialen Kontakten.
The Bad Things…
Ich sprach bereits von Klarheit. Ich habe erlebt, dass ich Jobs beinahe nicht bekommen hätte, weil ich queer bin (Danke an diejenigen, die mir das erzählt und darauf bestanden haben, mich einzustellen). Ich habe erlebt, wie ich nach einem Outing als wandelndes Lexikon genutzt und mich mit allen möglichen, teils sehr intimen Fragen konfrontiert sah. Ich war und bin oftmals Projektionsfläche für alle möglichen Klischees, gerade dann, wenn ich diese NICHT erfülle. Ich bin angegeriffen, bespuckt, mit Böllern beworfen und angeschrien worden. Ich musste mir innerhalb von fünf Minuten alle Standardabwehrreaktionen anhören, die es gibt.
Es läuft darauf hinaus, dass Menschen, die derartige Erfahrungen nicht gemacht haben, so hilflos sind, dass sie alle möglichen Bewältigungsmechanismen wählen. Sie denken keine Sekunde darüber nach, welchen mentalen und physischen Schmerz sie bei mir und anderen auslösen.
Eine Reaktion, die bis heute beliebt ist, klingt ungefähr so: „Ja, aber DU hast doch Schmerzen bei mir ausgelöst, weil DU so komisch/anders/… bist!“ Dies ist nichts anderes als eine Opfer/Täter*in-Umkehr. Mir ist bewusst, dass der Begriff „Täter*in“ sehr hart ist, da die Person angeblich nichts gemacht hat. Das ist so aber nicht korrekt, denn die Person reproduziert mit diesem „DU bist so komisch/anders/…“ eine Norm, wie unsere Gesellschaft „normales Sein“ sieht. Und da komme ich und breche diese Norm mit meiner Existenz…
Ich habe Menschen erlebt, bei denen das Outing den Zusammenbruch ihres gesamten (!) sozialen Umfelds bedeutete, die im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße landeten. Ich habe erlebt, wie Menschen ihr Heil in Drogen gesucht haben, ich habe Menschen verloren, weil sie keinen Ausweg mehr fanden oder in Folge von Angriffen starben – hier in Deutschland.
Das letzte Thema ist noch das Zwangsouting, das über Zeitungen, Call-Outs in sozialen Medien oder anderen sozialen Events durchgezogen wird. Outing ist eine persönliche Sache. Jede Person, die eine andere zwangsweise outet, begeht in meinen Augen ein unverzeihliches Vergehen. Es gibt gute Gründe, sich nicht zu outen, gerade dann, wenn es dabei im wahrsten Sinn um Leben und Tod geht.
Was ich mir wünsche
Diese Angriffe, der psychische und physische Stress sind Teil meines Lebens, mit dem ich gelernt habe, umzugehen. All das hat nur eine Ursache: der extrem eingeengte Blick unserer Gesellschaft darauf, wie wir zu sein haben. Die Bequemlichkeit derjenigen, die zufälligerweise diese Normen erfüllen und deshalb nicht durch „das Anderssein“ gestört werden wollen, ist unser größter Feind.
Ich wünsche mir, dass diejenigen, die in dieser Gesellschaft all diese cis Heteronormativität erfüllen, sich klar werden, dass sie eine Gefahr für Menschen sind, die das eben nicht erfüllen und dass sie sich für uns alle einsetzen. Das betrifft gerade unsere jetzige Zeit, in der Parteien und Politiker wie die A*D, Merz oder Söder queere Themen für ihre Schmutzkampagnen verwenden. Dieses Verhalten sollte in höchstem Maße sanktioniert werden.
Ich wünsche mir, dass diejenigen, die ein Coming Out durchwandern wollen oder müssen, die bestmögliche Unterstützung durch ihr Umfeld bekommen. Wir alle haben in den letzten Jahren viele Möglichkeiten aufgebaut, um Hilfe anzubieten. Wenn Ihr könnt, nutzt diese oder sprecht mit Menschen, die Euch weiterhelfen können, z.B.:
- https://queer-lexikon.net/ (bundesweit)
- Schwulenberatungen wie z.B. https://schwulenberatungberlin.de/ (Berlin)
- Für PoC und Schwarze Menschen:
- Für Lesben, bisexuelle Frauen, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen: https://lesmigras.de/de/ (Berlin)